Weihnachtsbrief 2025

von Förderverein Girassol

Weihnachtsbrief 2025

Liebe GIRASSOL-Freunde,

es gibt vielerlei Zeichen dafür, dass das Jahr seinem Ende entgegen geht. Für den Förderverein ist eines dieser Zeichen der alljährliche Anruf der Volker Rosin Grundschule in Düsseldorf, mit dem angekündigt wird, dass das Paket für GIRASSOL zur Abholung bereit liegt zur Mitnahme nach Brasilien. Denn immer im Herbst fliegen ein (oder mehrere) Vertreter des Vereins - auf eigene Kosten! - nach Sāo Paulo, um der Einrichtung einen Besuch abzustatten. Und dann werden die Bastelarbeiten der Kinder aus Deutschland für die GIRASSOL-Kinder mitgenommen und vor Weihnachten dort verteilt und/oder in unserer Kita zur Dekoration aufgehängt. Darüber hinaus unterstützt die Volker Rosin Schule die Arbeit in Grajaú seit über einem Jahrzehnt mit Geldspenden, die bei verschiedenen Veranstaltungen in der Schule zusammengetragen werden. Das Prinzip von „Kinder und ihre Familien in Deutschland für benachteiligte Kinder (und ihre Familien!) in Brasilien“ liegt vielen Aktionen in ganz Deutschland und dem Sammeln von Spenden für uns zugrunde. Vertreter des Fördervereins treten gelegentlich in verschiedenen Bildungseinrichtungen auf und berichten, in für die Kinder verständlicher Weise, von GIRASSOL. Es berührt uns immer sehr und erfüllt uns mit großer Dankbarkeit, wie so schon bei den Jüngsten Bewusstsein für die Not und schwierige Lebenslage anderer gebildet wird und die Spenden somit zusätzlich aufgewertet werden.  

Im herausfordernden lokalen Tagesablauf von GIRASSOL gibt es selbstredend immer wieder irgendwelche Unvorhersehbarkeiten zu bewältigen, aber das gehört zum Leben und bedarf darum eigentlich keiner besonderen Erwähnung. Es gibt jedoch natürlich auch sehr Interessantes zu berichten, das vom „Alltagsgeschäft“ abweicht! 

Am 10. Oktober wurde erstmals der „Dia da Açāo Social - GIRASSOL Solidário“ (Tag der Sozialaktion - solidarisches GIRASSOL) veranstaltet. Dieser Tag war den Anwohnern der näheren und etwas entfernteren Umgebung gewidmet. Wie ja hinreichend bekannt ist, operiert unsere Einrichtung in einer Gegend, die sozial extrem instabil ist, in der kriminelle Organisationen das Sagen haben und in der die Bevölkerung große Bildungsdefizite hat. In so einem Umfeld ist es von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, eine „Politik der guten Nachbarschaft“ zu betreiben, will heißen: lasst die Menschen wissen, was hinter unseren Mauern passiert und lasst sie daran teilhaben, um neidvollen Vermutungen entgegen zu wirken. Im Prinzip stand dieser 10.10.2025 von 9:00 bis 15:00 Uhr unter dem Motto „soziale Aufklärung“. Schon häufiger haben wir geschildert, wie sehr die suboptimalen Lebensbedingungen unserer Kita-Kinder und unserer Auszubildenden sie am Lernen hindern und sie in ihrer persönlichen Entwicklung hemmen. Erst wenn es in GIRASSOL gelingt, die schlimmsten häuslichen Schieflagen, die schwersten seelischen Rucksäcke zu erleichtern, setzt auch der Lernerfolg ein. Und so hat sich unsere Einrichtung im Laufe der über drei Jahrzehnte nebenbei auch immer mehr zu einem effektiven Sozialzentrum entwickelt. 

Und davon sollte auch die Nachbarschaft, die keine Kinder in Kita oder Ausbildung bei uns hat, etwas mitbekommen, um damit einerseits für GIRASSOL zu werben und andererseits dem Eindruck von Privilegierung nur Weniger entgegenzuwirken. 

Durch aufwendige Organisation und Zusammenarbeit mit einigen örtlichen Behörden stand also u.a. an jenem 10. Oktober ein mobiles Standesamt/Notariat (ist in Brasilien eine Einheit) zur Verfügung, um notwendige „Dokumentenoptimierung“ veranlassen zu können. Bei einer mobilen Krankenambulanz konnten sich Betroffene medizinischen Rat bzw. Hinweise für weiterführende Behandlungsangebote/-möglichkeiten holen. Das gemeinnützige CIEE informierte die Interessierten darüber, dass über diese Institution Jugendliche sich Brasilien-weit in Praktikanten- und/oder Ausbildungsstellen vermitteln lassen können. Eine Abordnung der „Polizei für Frauen“ stand bereit, Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, darüber aufzuklären, dass es Auswege aus ihrer Situation gibt. Drei Rechtsanwälte der SBA, davon zwei Frauen, konnten konsultiert werden, in welcher Angelegenheit auch immer - am Häufigsten ging‘s um Unterhaltszahlungen für Kinder ... Zwei Damen aus der SBA-Personalabteilung gaben kleine „Crash-Workshops“ im Verfassen von Lebensläufen zur Arbeitssuche und Auftreten bei Bewerbungsgesprächen. Um unser eigenes Kursangebot zu veranschaulichen, bot die Bäcker- und Konditoren-Ausbilderin kleine „Workshops“ an in gesunder Ernährung und Restevermeidung, bzw. der Verwertung von übrig gebliebenen Lebensmitteln und stieß damit auf enormes Interesse. Die Schneidereiausbilderin zeigte, unterstützt von einigen Auszubildenden, wie aus Stoffresten Neues kreiert werden kann - auch hier eine starke Resonanz. Während die Erwachsenen sich umsahen und informierten, war der mitgebrachte Nachwuchs in der Obhut unserer Erzieherinnen. Viele dieser Kinder sind zum ersten Mal in ihrem Leben kindgerecht beschäftigt worden und widersetzten sich lautstark der Aufforderung, den Heimweg anzutreten ;-)) ! 

Obwohl an diesem Tag sehr schlechtes Wetter war, wurden insgesamt weit über 400 Termine wahrgenommen bzw. abgearbeitet. Die Teilnahme männlicher Interessierter lag unter 5%, ein klares Indiz dafür, dass bei den Menschen, die unsere Klientel bilden, Kindererziehung und sehr häufig das Ernähren der Familie Frauensache ist. Die Überraschung darüber, was das relativ bekannte GIRASSOL wirklich ist, war allgemein ziemlich groß und führte bei praktisch allen Besuchern zu der Schlussfolgerung, dass man irgendwie, so bald als möglich, auch eine Aufnahme anstreben wollte: fürs Kind in der Kita, für die/den Jugendlichen daheim oder möglicherweise für sich selbst eine Berufsausbildung. GIRASSOL steht allen offen, sich zu bewerben, das ist verstanden worden. Im Übrigen sind Viele nach Hause gegangen mit wertvollen Informationen, um ihr Leben ein wenig besser zu strukturieren, Problemlösungen vor Augen, die vorher völlig unbekannt waren. Zusammenfassend darf gesagt werden, dass das Ziel voll erreicht wurde, den Menschen zu zeigen, was bei uns tatsächlich vor sich geht und dass jeder von ihnen, so er die Aufnahmebedingungen erfüllt, Zugang bekommt. 

Und wie es ja nun schon fast Tradition geworden ist, möchten wir Ihnen zwei Geschichten aus dem Leben unserer Schützlinge erzählen. Ganz bewusst übrigens verwenden wir den altmodischen Begriff Schützling, beinhaltet er doch schützen: die Kinder und Jugendlichen mit ihren Familien fühlen sich von uns bisweilen beschützt, merken, dass sie unter unserem Schutz zu einer menschenwürdigen Zukunft finden können. Und diese unschätzbar wertvolle Arbeit machen Sie durch Ihre Unterstützung, Ihre Spenden überhaupt erst möglich. Haben Sie Dank! 

Seit zwei Jahren kommt der 4-jährige Antônio zu uns in die Kita, seine 70 Jahre alte mütterliche Großmutter, Dona Irismar, hat für ihn das Sorgerecht. Seine Mutter Diana ist kokain- und wahrscheinlich auch alkoholabhängig, hat den Jungen wiederholt misshandelt und sich kaum um ihn gekümmert. Der Kleine hat eine knapp zwei Jahre jüngere Schwester, die von Onkel und Tante aufgezogen wird, welche aber für den kleinen Jungen keine Verwendung hatten, da der „hyperaktiv, schlecht erzogen und jähzornig“ sei. Darum übernahm ihn die Oma, die gesundheitlich jedoch recht angeschlagen und mit seiner Erziehung eigentlich überfordert ist, wenngleich sie ihn wohl sehr liebt und vom Kind als Hauptbezugsperson empfunden wird. Dona Irismar lebt davon, Müll zu sammeln und die recyclebaren Materialien zu verkaufen. Sie bewohnt eine schäbige kleine Bretterbude in der favela bei uns um die Ecke. Antônio artikuliert, seit er zu uns kommt, eine intensive Sehnsucht nach der Mutter, obwohl er von ihr nie wirklich versorgt und betreut worden ist und macht mit der permanenten Fragerei nach seiner Mutter und der Forderung bei ihr sein zu wollen, seiner Großmutter das Leben nicht gerade leichter ... Vor sechs Wochen brachte die Mutter ein weiteres Kind zur Welt, sie hatte sich, als sie die Schwangerschaft feststellte, in eine Entzugseinrichtung begeben. Zu den Vätern ihrer beiden älteren Kindern kann sie keinerlei stichhaltige Angaben machen. Kürzlich erschien sie in GIRASSOL und wollte ihren Sohn abholen. Unser psycho-sozialer Dienst (PSD) sah sich vor eine riesige Herausforderung gestellt: juristisch dürfen wir das Kind nur der Großmutter aushändigen. Sie hatte der Tochter keine schriftliche Erlaubnis ausgestellt, das Kind abholen zu dürfen. 

Es bedarf nach wie vor langer, geduldiger, zäher Dialoge mit der Mutter, dass sie das alles vor Gericht klären und dass sie erst einmal zeigen müsse, dass sie in der Lage ist, sich um ihre Kinder zu kümmern (es scheint immerhin zu stimmen, dass sie seit sechs Monaten clean ist) ... Der Junge kam nämlich plötzlich ziemlich verwahrlost in die Kita: zerrissene Kleidung, ungewaschen, wahnsinnig hungrig, unausgeschlafen, unpünktlich, unausgeglichen, usw. Der Großmutter musste in ebenso schwierigen Gesprächen klar gemacht werden, dass sie den Jungen nicht einfach ziehen lassen darf: sie ist gesetzlich für ihn verantwortlich und macht sich mit ihrem Verhalten strafbar. Dabei ist sie an sich ganz froh, sich der Aufgabe entledigt zu haben. Dem neuen Lebensgefährten der Mutter muss immer wieder ins Gewissen geredet werden, dass es um den Kleinen geht und nicht um die Erwachsenen. Wiederholt waren Mediationsgespräche mit allen Dreien erforderlich, da der Familienfrieden schwer erschüttert war. Und wie macht man einem kleinen Vierjährigen diese Situation verständlich, ohne seiner Kinderseele noch mehr tiefe Wunden zuzufügen?! Er reagiert wieder zunehmend aggressiv in Auseinandersetzungen mit den anderen Kindern, wie in seiner Anfangszeit bei uns. Noch ist die Lage alles andere als juristisch gelöst und GIRASSOL tut alles, die Erwachsenen mit allen verfügbaren Möglichkeiten zu lenken und im Sinne und zum Wohle des kleinen Antônio (und seines Baby-Geschwisterchens) zu beeinflussen. Es gilt zu verhindern, dass die Situation eskaliert, die Mutter (wieder) rückfällig wird und sie so viel und so lange Unterstützung und orientierende Anweisungen erhält und annimmt und umsetzt, bis sie, so Gott will, in die Lage kommt, ihre Mutterrolle wie eine Erwachsene auszufüllen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass es unserem PSD zum wiederholten Mal gelingen wird, eine solch verzwickte Lage zu korrigieren und zu entwirren, denn es geht darum dieses Kind so zu stabilisieren, dass es zur Resilienz befähigt wird, dass es dereinst sich am eigenen Schopf aus dem Familien-Schlamassel zu ziehen fähig sein wird, um sein Leben zu meistern. 

Davon nämlich handelt unsere zweite Geschichte, die von Gabriel. Er ist gerade 18 Jahre alt geworden und kam als knapp 16-Jähriger zu GIRASSOL, um am Kurs „Verwaltungsgrundlagen“ teilzunehmen. Als er gerade bei uns angefangen hatte, erschien er eines Tages total niedergeschlagen und verheult zum Unterricht. Nachdem der PSD sich ein Weilchen mit ihm unterhalten hatte, rückte er damit heraus, dass seine Mutter ihn und seine ein Jahr ältere Schwester Valquíria rausgeschmissen habe, mit dem Hinweis, sie hätten ihr nun lange genug auf der Tasche gelegen. Seine Schwester, die von einer großartigen Influencer-Karriere träumte, hatte den „Verwaltungsgrundlagen-Kurs“ gerade abgeschlossen und hatte auch einen Job gefunden, von dem die Beiden mal gerade so existieren konnten, weil sie irgendwo bei mitfühlenden Zeitgenossen ein löchriges Dach überm Kopf gefunden hatten. Gabriel ging halbtags bei uns in den Kurs und nachmittags weiter zur Schule, um seinen Abschluss zu machen. Abends und an den Wochenenden nahm er so ziemlich jeden Aushilfsjob an, den er kriegen konnte. Die Geschwister konnten sich dann bald die Miete eines äußerst bescheidenen Zimmers leisten und teilten sich dieses zum Wohnen. Als Gabriel mit der Schule fertig war und auch den Abschluss des Verwaltungsgrundlagen-Kurses geschafft hatte, bekam er eine feste Anstellung im Büro einer NGO in unserer Nachbarschaft. Mit der Hilfe unseres PSD bewarb er sich mit seinen sehr guten Abschlussexamensnoten um ein Stipendium bei ProUni, um sein Studium zu finanzieren. Seit den ersten Tagen in GIRASSOL teilte er allen mit, dass es sein Ziel sei, Jura zu studieren. Gabriel erhielt die Zusage über ein 100%-Stipendium! Diese Summe deckt die Kosten eines Studiums nur knapp und seinen Lebensunterhalt muss er sich nach wie vor selber verdienen, aber der Junge hat sein erstes Jahr Jurastudium schon fast hinter sich. Er zählt zu den besten seines Jahrgangs. Wann und wo immer er von einem Büchermarkt hört (in Brasilien werden häufig gelesene, gebrauchte Bücher second-hand für kleines Geld verkauft), besucht er diesen und durchstöbert alles nach brauchbarer Fachliteratur, aber auch nach anderer Lektüre, denn er ist ein begeisterter Leser aller möglicher Genres. Mittlerweile lebt er alleine, denn Valquíria ist Mutter geworden und ist zum Kindsvater gezogen. Gabriel macht sich Sorgen um sie, denn er befürchtet, dass sie so endet wie die eigene Mutter, die jedes Jahr ein Kind zur Welt bringt - derzeit wurde gerade das zwölfte geboren. Die Mutter hat endlich die Kraft aufgebracht, sich des gewalttätigen Lebenspartners zu entledigen. Der hält sich inzwischen am anderen Ende der Stadt auf, wo er bereits eine neue „Familie gegründet“ hat. Zwischen den großen Kindern und ihrer Mutter besteht weiterhin kein Kontakt. Eine 13-jährige Tochter hat sie zu Gabriel abgeschoben, als diese von einem 21-jährigen schwanger wurde, der aber an der werdenden Mutter und dem Ungeborenen das Interesse verlor. Trotz alledem bringt Gabriel es fertig, sich aus dem Chaos seiner Herkunft zu befreien und das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Wäre er nicht an GIRASSOL geraten, wäre seine phantastische Entwicklung kaum möglich geworden und wiederum können wir nur sagen: nur durch Ihre Spenden ist es uns möglich, diesen jungen Leuten zu helfen. Immer wieder kommt Gabriel in die Einrichtung, holt sich Rat, berichtet von seinem Ergehen, ermuntert die aktuellen Auszubildenden, sich in der Verfolgung ihrer Ziele nicht beirren zu lassen. Nach menschlichem Ermessen wird dieser junge Mann seinen Weg erfolgreich fortsetzen und ein wertvolles Mitglied seiner Gemeinschaft werden. 

Gabriels Geschichte illustriert das, was unser Ziel ist: wir wollen Menschen die Grundlagen geben, den Weg aus der Perspektivlosigkeit der Armut aus der sie stammen, erfolgreich zu beschreiten. Die allermeisten nutzen diese Chance und gehen einer helleren Zukunft entgegen. Es erfüllt uns mit Stolz, dass beispielsweise 20 von den Absolventen des Verwaltungsgrundlagen-Kurses aktuell eine gesetzesforme Anstellung gefunden haben. Und das ist doch das Weihnachtsversprechen: den Menschen möge das Licht der Hoffnung den Weg in eine Zukunft aus Frieden und Gerechtigkeit erleuchten. Zugegebenermaßen ist es nicht immer gleich einfach, auf die Erfüllung dieser Hoffnung zu setzen ... Aber das, was in GIRASSOL rund ums Jahr geleistet wird, trägt ganz gewiss zum Gelingen des großen Hoffnungsplans bei! Und daran sind sehr viele Menschen beteiligt: das Team vor Ort und die Ehrenamtlichen des Fördervereins, die aber alle nichts ausrichten könnten ohne Sie, unsere Spender und Förderer. Wir sagen „DANKE!“ für Ihre Unterstützung und Ihr Interesse im zu Ende gehenden Jahr 2025. Wir wünschen Ihnen und der ganzen Welt ein 2026, das der Hoffnung auf Frieden wieder mehr Raum gibt. Ihnen und Ihren Familien möge das Helle des Weihnachtslichts im neuen Jahr leuchten und Ihnen Gesundheit und Zufriedenheit beschert werden! 

Bleiben Sie uns gewogen, darum bitten Ihre dankbaren 

Andreas Krebs, Vorsitzender         Dr. Thomas Schmidt, stellvertretender Vorsitzender

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