Sommerbrief 2025

von Förderverein Girassol

Sommerbrief 2025

Liebe GIRASSOL-Freunde,

in diesem Sommer zeigt sich GIRASSOL ganz im Zeichen der Kontinuität – keine großen Schlagzeilen, aber viele (kleine) Momente, die uns bestätigen, dass unsere Arbeit wirkt.  

Unsere Kleinsten, die Anfang dieses Jahres in die Kita kamen, sind mittlerweile voll in­tegriert und nehmen interessiert an den Alltagsaktivitäten teil; verzehren nach Über­windung der üblichen Anfangsschwierigkeiten mit Appetit die verschiedenen täglichen Mahlzeiten; putzen nach dem Essen begeistert, miteinander wetteifernd, die Zähne; haben gelernt, den täglichen Mittagsschlaf nach einem „durchgespielten“ Vormittag zu genießen. Die größeren Kitabesucher kennen die täglichen Abläufe genau, fiebern ihren Lieblingstätigkeiten entgegen; bestürmen den Sportlehrer und den Musikpädagogen; erkundigen sich manchmal schon morgens, was es mittags zu essen geben wird. Wir können voller Stolz und Dankbarkeit sagen, dass dank Ihrer Unterstützung in GIRASSOL kleine Menschen, die eine aussichtslose Zukunft erwartete, Freude und Zufriedenheit erfahren; kleine Menschen heranwachsen, die gefördert und altersgerecht gefordert werden, satt und gesund - alles nicht selbstverständlich in Grajaú. 

Auch die Auszubildenden haben zum Beginn des Schuljahres in den zwei ersten Wochen im Sozialkompetenz-Trainingsprogramm gelernt, welche Regeln in GIRASSOL gelten und gemerkt, dass diese einzuhalten durchaus sinnvoll ist. Denn Pünktlichkeit, Respekt, Zuverlässigkeit, Freundlichkeit, Erledigen der gestellten Aufgaben, Kompromissbereit­schaft usw. haben zwar in ihrem bisherigen Leben keine große Bedeutung gehabt - da zählten eher Gewalt und Lautsein beim Durchsetzen der eigenen Interessen - ,sind aber auf dem Arbeitsmarkt, bei der Jobsuche die benötigten Fähigkeiten. Die jungen Leute sind ja nur eine sehr kurze Zeit ihres Lebens in GIRASSOL, aber alle betonen sie, wie unerlässlich wichtig diese Monate für sie waren. Mitunter sehen sie das noch Jahre spä­ter so, wenn sie längst gute Arbeitsstellen und sich eigeninitiativ weitergebildet haben - und bei uns den derzeitigen Auszubildenden von ihrem Werdegang berichten. Sie heben immer hervor, dass sie in unserer Einrichtung neben der beruflichen Wissensvermittlung vor allem gelernt haben, wie anders der Umgang mit den Mitmenschen sein muss, um außerhalb der „favela-Realität“ bestehen, Fortschritte erzielen zu können. Wir bemühen uns, Ehemalige zu motivieren, den aktuellen Kursteilnehmern die eigene Geschichte zu erzählen, die Schwierigkeiten und deren Überwindung, die Erfolge und vorausgegange­nen Ängste und Zweifel darzulegen. Den Ehemaligen kommt so eine Botschafterrolle zu und im Laufe der Jahre ist es gelungen, dass einige Arbeitgeber, beispielsweise eine Hotelkette, aus dem Pool unserer Absolventen Nachwuchspersonal rekrutieren. Und wenn das passiert, ist unsere Mission erfüllt. Wiederum dank Ihrer Unterstützung wird das große Ziel erreicht: ein junger Mensch mit schlechter Perspektive bekommt durch GIRASSOL eine Ausbildung, dadurch eine gesetzeskonforme Anstellung und schafft es somit, der Armut und Aussichtslosigkeit zu entkommen - und mit ihm häufig die ganze Familie … 

An dieser Stelle möchten wir Ihnen von Jhonathan (ja, er schreibt sich tatsächlich so!) und José Fabiano erzählen: zwei 23-Jährige, beide absolvierten den Elektrik-Kurs bei uns. Jhonathan wuchs beim mütterlichen Großvater auf, weil der Stiefvater ihn „nicht wollte“. Als 16-Jähriger bewarb er sich eigenständig um einen Ausbildungsplatz als Elektriker. Er wurde aufgenommen und entpuppte sich nach kurzer Zeit als bester Schü­ler, hochmotiviert und überaus interessiert, von sehr schneller Auffassungsgabe. Er blieb häufig länger, um seinem Lehrer zur Hand zu gehen, übernahm organisatorische Aufgaben für den Kurs. Als er seinen Abschluss machte, unterbreitete man ihm das Angebot, als Hilfskraft für den GIRASSOL-Hausmeister zu arbeiten. Zwar entsprach das nicht seiner Qualifikation, aber er war froh, eine reguläre Anstellung bei uns zu erhalten, in der vertrauten Umgebung, die ihm so viel Geborgenheit und Hilfestellung während der Ausbildung gegeben hatte. Er erwies sich als äußerst anstellig, lernwillig und zuver­lässig; eignete sich viele zusätzliche Fertigkeiten an und war bei allen anfallenden Elekt­roarbeiten seinem Chef überlegen, zumal sein ehemaliger Ausbilder im Zweifelsfall noch hätte hinzugezogen werden können. Anfang 2024 wurde die Stelle des Hausmeisters vakant und die GIRASSOL-Leitung zögerte keinen Moment, Jhonathan auf diese Position zu befördern. Er ist für sein Alter sehr reif, hat sich beruflich weiterentwickelt und ar­beitet umsichtig, planvoll und ordentlich, ist dabei zu allen freundlich, wenn nötig aber auch bestimmt. 

José Fabiano trat die Elektrikerausbildung später an. Auch er war ein fleißiger, guter Kursteilnehmer, der jedoch ein Handicap aufwies, das dann in seiner Ausbildungszeit durch unseren psychosozialen Dienst (PSD) in Zusammenarbeit mit den Gesundheits­behörden als eine minderschwere Form von Authismus diagnostiziert werden konnte. Der junge Mann war über die Maßen schüchtern, hatte große Schwierigkeiten, mit sei­nen Mitmenschen zu kommunizieren und „geriet ins Schleudern“, wenn Abläufe von der gewohnten Routine abwichen. Allerdings war er immer lernbegierig, dürstete förmlich danach, zu organisieren und hielt sich immer viel länger in der Einrichtung auf, als er Unterricht hatte, machte sich ganz still nützlich, wo er konnte. Während seiner Ausbil­dungszeit kam langsam heraus, dass seine Mutter, bei der er lebte, ihn absolut ablehnt, bei jeder Gelegenheit herabwürdigte und er das Haus nur zum Schlafen betreten durfte. Einzig seine Schwester half und unterstützte ihn, hatte ihn zur Ausbildung in GIRASSOL ermuntert und ermutigt. Als José Fabiano seinen Abschluss machte, war allen klar, dass er „da draußen“ keine Chance haben würde, eine reguläre Arbeit zu finden, GIRASSOL hingegen einen weiteren Mitarbeiter im „Maintanance-Team“ gut gebrauchen konnte. Er konnte sein Glück kaum fassen, als er für 2024 eine bezahlte Praktikantenstelle bei uns angeboten bekam. Auch er blieb in der ihm inzwischen vertrauten Umgebung und bei den ihm bekannten Menschen, konnte vom PSD weiter begleitet werden und wurde finanziell eigenständig. Seine Schwester half ihm, das verdiente Gehalt vor der Mutter zu schützen. Seit Anfang 2025 nun hat er eine feste Anstellung als Hausmeisterhilfskraft und ist Jhonathan unterstellt. Er hat sich bei uns so unglaublich weiterentwickelt, dass, wenn Not an Mann ist, er sogar an der Rezeption aushelfen kann. Mit anderen zu kom­munizieren, geht heute ganz gut. Neue Fertigkeiten zu erlernen, bereitet ihm Spaß und Befriedigung. Er verwaltet und organisiert eigenverantwortlich und selbstständig das komplette Hauswirtschaftslager (Putzmittel, Gartengeräte, Werkzeuge, usw.). Er ist sich für keine Arbeit zu schade und ist der Erste, der sich zum freiwilligen Einsatz meldet. Seinen Chef bewundert er und dieser wiederum erklärt ihm geduldig, was immer anliegt. Da die gesamte Mitarbeiterschaft vom PSD im Umgang mit dem Kollegen unterwiesen wurde und über sein Handicap Bescheid weiß, gelingt es, Situationen zu vermeiden, die eine plötzliche, unangekündigte Abweichung vom bekannten Ablauf darstellen. Das zu bewältigen, ist für José Fabiano noch immer eine große Hürde. Dass wir José Fabiano diese Stelle überhaupt anbieten konnten, verdanken wir einer Sonderspende eines GIRASSOL-Besuchers Ende 2024 aus Deutschland, der von dessen Schicksal tief berührt war. Wir können nicht genug danken – denn diese eine großzügige Geste hat das Leben eines jungen Mannes in die richtige Richtung ermöglicht. Vor wenigen Wochen über­raschte er alle: er wolle alleine, sprich selbstständig, leben. Schwester und Schwager hatten ihn schon bei der Suche nach einem geeigneten Zimmer zum Mieten unterstützt und etwas passendes gefunden. Allerdings besaß er nichts. Also nahmen sich die Kolle­gen seiner an und kauften mit ihm von seinem Ersparten die allernötigsten Möbel und organisierten einen „chá de casa nova“ (ähnlich einem „baby shower“), zu dem jeder einen benötigten Haushaltsartikel als Geschenk mitbringt. Durch seine inklusive Arbeits­stelle ist der weiterhin stille und zurückhaltende José Fabiano von heute ein unabhängi­ger, erwachsener, junger Mann geworden. Sowohl er wie sein Chef wären ohne GIRASSOL und somit ohne Sie und Ihre Unterstützung nicht zu denen geworden die sie heute sind: wertvolle, produktive Mitglieder der Gesellschaft, in der sie leben, welche sie vorher jedoch total vernachlässigt und herabgewürdigt hatte. 

Anfang April ist über São Paulo ein schweres Unwetter hereingebrochen, das in Grajaú besonders heftig gewütet hat. Auch GIRASSOL blieb von den dadurch üblichen Schäden leider nicht verschont, wenn auch wir unendlich froh sind, dass das alles nach Feier­abend geschah und bei uns kein Mensch in Mitleidenschaft gezogen wurde. Unsere Spie­lothek (der große Schlechtwetterspielraum) wurde durch abgerissene und hinunterge­schleuderte Äste am Dach schwer getroffen. Durch mehrere Löcher flossen die Wasser­massen des Starkregens ungehindert direkt in den Raum, denn es war sogar die Rigips-Zimmerdecke durchschlagen worden. Das unerfreuliche Ausmaß des Schlamassels of­fenbarte sich am folgenden Tag und erforderte sofortiges Handeln. Jhonathan und José Fabiano befestigten eilends erworbene Planen auf dem Dach und die Leitung kümmerte sich um Kostenvoranschläge von Dachdeckerfirmen. Glücklicherweise konnte schon zwei Wochen später mit der Dacherneuerung begonnen werden. Die Kehrseite dieser Medaille stellt allerdings eine recht spürbare, nicht vorhergesehene Ausgabe aus dem laufenden Budget dar: ca. 8.000,- € müssen wir wieder „hereinholen“, um etatmäßig nicht in der Schieflage hängen zu bleiben. Und noch eine weitere Geldsorge veranlasst uns, Ihnen von den sich zusehends verstärkenden Schäden am etwa 20 Jahre alten Kitagebäude zu berichten. Es treten seit ein paar Monaten deutliche Senkrisse an meh­reren Stellen am Gebäude auf, höchstwahrscheinlich verursacht durch die immer stärker werdenden Regenfluten, die das Erdreich gelegentlich bis in tiefere Schichten aufwei­chen, was bei der Hanglage unseres Grundstücks besonders sensibel ist … Wir müssen mit dem ersten Tag der Winterferien im Juli mit den Sanierungsarbeiten beginnen und werden unter großem Zeitdruck stehen, denn wir müssen mit einem Monat auskommen. Der Handlungsbedarf ist so unausweichlich, dass wir nicht bis zu den Sommerferien warten können. Diese „Aktion“ wird, wenn es keine weiteren Überraschungen gibt, eine Summe von ungefähr 15.000,- € kosten. 

Und so verbindet sich mit diesem Sommerbrief die hoffnungsvolle Bitte an Sie, GIRASSOL und seine Kinder mit einer außerplanmäßigen Spende zu bedenken, um diese außerplanmäßigen Ausgaben bestreiten zu helfen. Es ist selbstredend, dass die Sicher­heit der Kinder und Mitarbeiter oberste Priorität haben und darum die Bauarbeiten kei­nen Aufschub dulden. Selbstverständlich bemüht man sich auch lokal um Spenden ex­plizit für diese beiden Sonderposten, aber die Gesamtsumme stellt in Brasilien einen hohen Betrag dar, und so wird die Unterstützung vom Förderverein aus Deutschland dringend gebraucht. 

Für Ihr Interesse, Ihr Verständnis und Ihre großzügige Hilfsbereitschaft bedanken wir uns aus vollem Herzen!

Mit den besten Wünschen für einen schönen Sommer verbleiben wir 

Ihre dankbaren

Andreas Krebs, Vorsitzender        Dr. Thomas Schmidt, stellvertretender Vorsitzender

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